Ela Beysun, Anna Hetzer, Biba Oskar Nass und Jon Savkin erschaffen ein Kettengedicht in deutscher Laut- und Gebärdensprache. Das gemeinsame Projekt des Literaturhaus Lettrétage und der Literaturinititative handverlesen verbindet queere Perspektiven und poetische Ausdrucksformen in einer zweisprachigen Performance.
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May you sleep on the breast of your delicate friend
–Sappho Fragment
schlafen auf einer brust,
die aufhört,
wo sie ihren namen bekommt.
schlafen auf einer brust,
die sich ruckartig
neu ausgerichtet hat.
deinem friendly lover
das shirt ausziehen -
zwei narben, die lächeln.
dein ohr auf sie legen,
seiner delicate chest lauschen,
die erzählt, was sie gefunden hat.
schlafen auf den narben deines lovers.
auf deinen nippeln ruh ich mich aus
werde zur welle, zum meer, zum ozean
erinnere mich und träume, wie unbestimmt alles war
die wellen wüten, schäumen, stürzen ein
beruhigen sich, wie friedlich sie sein können
ein herz schlägt in jedem körper
stehen die nippel hoch oder tief
schlägt das herz
kippen die brüste zur seite
schlägt das herz
ist der penis dick, krumm oder klein
schlägt das herz
ist die vulva wulstig, behaart oder schmal
schlägt das herz
und auf den wellen
glitzert das licht
hallo ich bin Jon, ich bin queer
nicht schräg, sondern QUEER
unsre körper sind MEGA verschieden
egal ob mit narben oder nem schwanz
sind so unendlich bunt, so bunt
hallo ich bin Jon, ich bin KRASS queer
nicht schräg, sondern queer
sind fluid wie eine welle
die in eine ader fließt, im kreislauf zwei herzen
verbindet POCH-POCH
hallo ich bin Jon, ich bin queer AS FUCK
nicht schräg, sondern queer
und das passt sowas von BÄM
habe an dir einen arm gefunden. fünf finger an der hand
sie drücken mich leicht und ich stütze uns
gegen die wand, delicately, gegen unsren strap-on playground
beginnen mit zähnen zuerst, ein hitziger flirt, wohin, überall
werden zur welle, verliebt und voll gay
du lässt mich soundso, genau da, ich lass dich soundso, da
fallen wir in den scissorgriff des gedichts, dein herz, mein herz
ein einsamer wal. orten das echo ganz nah
may you rest, wenn du schläfst, ganz schräg an mich gelehnt
du kommst zur ruhe,
deine augenlider schwer
rest my love, bald schon wirst du einschlafen,
come along sweetie,
leg dich schräg auf meine brust,
in den nebel der sich schlaf nennt,
I promise, du wirst den frühling streifen,
in dem ich in voller blüte aufgehe,
ein garten bin, der berührt werden will,
& you will see my delicate,
in der spiegelung deines lächelns,
my lover, passt dein herz in die form meiner hand,
wir küssen uns im schlaf,
wir küssen uns.
dein lächeln dehnt sich in einen kuss,
faltet sich drei mal ineinander
bevor es sich, ausgestreckte gliedmaßen
kopfüber, auf den tisch legt
ich umschließe es, koste
von blumenwiesen, die an rändern deiner lippen wachsen
schneide an meinem so delicate, difficult lover entlang
spiele, schlucke, verschlucke mich
an einem lächeln, an dem blüten bluten
–
Ich kann nicht einschlafen.
wo die blüten sind. ich greife ins wasser
um ihnen zu trinken zu geben. bin ganz fluid
und vertieft in die alten lügen, verschlucke sie
zusammen mit meiner insomnia. blütenblut am mund
ein honigfund in den lücken der geschichte
damit sie hinauswächst, an steinen halt findet
sich wandelt am schlafwandel entlang
in die narben hineinwächst und sich anschmiegt
no pressure, sag ich, und leise, hey sweet tooth, wach auf
zwei hände die mich schütteln,
ein finger, der verschwindet,
nur noch ein letztes flüstern, wake up honey,
und das loch in meinem bauch wacht, wird größer.
Ich laufe ziel-los,
will mir selbst entkommen,
r e n n e,
r e n n e ,
r e n n e ,
r e n n e ,
bis mich das unschuldige lächeln einer blüte stoppt.
Ich knicke ihren kopf zur seite, ziehe an der achse ihres stängels, zerre,
bis sie loslässt, ihr mund auf meinem,
süß wie honig, my honey, blüht sie in mir
blüht
blüht
blüht
blut,
ein tropfen, der meine lippe herunterläuft.
–
zerre an mir selbst herum,
ihre wurzeln, meine venen,
pflanze uns zurück in die erde,
mein herz schlägt jetzt an einem anderen ort.
Ich verliere konturen, wringe, zerdrücke,
gieße ihre blüte mit meinen letzten
tropfend sickere ich, verschwinde.
Ich bin fluid.
Es blüht.
ist ein gemeinsames Projekt des Literaturhauses Lettrétage und der Literaturinitiatiative handverlesen. Es vereint die Perspektiven und kreativen Ausdrucksweisen der Autor*innen Ela Beysun, Anna Hetzer, Biba Oskar Nass und Jon Savkin. Sie haben sich mit Fragen beschäftigt, die auch dich zum Nachdenken anregen könnten: Wie könnte eine queere Sprache aussehen? Wie verändern sich die Begriffe queerer Lebensrealitäten im Dialog zwischen Tauben und hörenden Individuen? Und wie entstehen neue Begriffe – laut und gebärdet –, um bisher ungesagte Realitäten zu benennen? Im Zentrum des Projekts steht ein poetischer Austausch, der von diesen Überlegungen ausgeht und und von folgendem Sappho-Fragment inspiriert ist:
„May you sleep on the breast of your delicate friend.”
Daraus ist ein Kettengedicht in deutscher Laut- und Gebärdensprache entstanden – ein fluides, interdisziplinäres Kunstwerk, das die sprachlichen und übersetzerischen Prozesse aller Beteiligten spiegelt. Lautsprachliche Lyrik und Gebärdensprachpoesie treten in einen Dialog, und queere Lebenswelten von Tauben und hörenden Menschen verbinden sich in einer zweisprachigen Performance zu einer neuen Form der Poesie. Das Kettengedicht ist in einem fortlaufenden Prozess entstanden: Jede*r der Beteiligten hat ihre*seine Poesie – sei es in Laut- oder Gebärdensprache – an die nächste Person weitergegeben. Aus dem Vorgedicht ist so ein neues Gedicht entstanden, das wiederum weiterentwickelt wurde. In diesem kollektiven Schaffen verdichten sich die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit queerer Sprache zu einem poetischen Fluss, der die Grenzen zwischen Sprachen und Lebensrealitäten durchlässig macht.
Ela Beysun
Ela Beysun ist eine in Berlin ansässige Gebärdensprachpoet*in, Performer*in und Schauspieler*in. Im Jahr 2022 wurde Ela Beysun als Mitglied der Performancegruppe T.A.S. mit dem Publikumspreis des DEGETH ausgezeichnet. Sie trat unter anderem beim Vi-Fest 2022 mit ihren Gebärdensprachpoesien "Feminismus" und "Bodyshaming" auf und ist seit 2023 Teil des Ensembles des Deutschen Gehörlosen Theaters, wo sie in der aktuellen Inszenierung von Hamlet mitwirkt.
Anna Hetzer
Lyrikerin, Essayistin, Übersetzerin, hörend. Zuletzt erschienen die Bände "Pandoras Playbox" (Verlagshaus Berlin 2022) und "Schaum" (Sukultur 2022). In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit queerfeministischen Narrativen und den Auswirkungen von sprachlichen Handlungen. Zuletzt war sie Stipendiatin der Akademie der Künste Berlin in Olevano Romano, Italien, und erhielt den Basler Lyrikpreis 2023. Im Projekt Handverlesen beteiligt sie sich seit 2017.
Biba Oskar Nass
transboy & wortmetzger, hörend, schreibt als freier Künstler Prosa und Lyrik. In seinen Texten setzt er sich mit queerem Leben und den Auswirkungen von Gewalt auseinander. Zudem ist Biba Oskar Nass Herausgeber und publiziert neben anderen Texten das queere Literaturmagazin Transcodiert. Biba Oskar Nass hat 2022 die Veranstaltungsreihe „Let´s talk about class“ im "ACUD macht neu" kuratiert.
Jon Savkin
1996 in München geboren, lebt in Berlin. Jon Savkin ist Gebärdensprachpoet*in, Tänzer*in und Schauspieler*in. Die künstlerische Entwicklung begann mit der Zusammenarbeit mit Kassandra Wedel. 2023 wirkte Jon Savkin in Hamlet des Deutschen Gehörlosen Theaters mit. Als Gebärdensprachpoet*in war Savkin u.a. bei Shut up and Sign Speak (2022) und TextKörper-KörperText (2021) beteiligt.
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Viel Freude beim Entdecken dieses einzigartigen literarischen Projekts!
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